Entstehung Orts- und Wohnmuseum sowie Betrieb über 50 Jahre
Man schreibt die Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Es ist die Zeit, da grosse Amerikaner Limousinen in unseren Dörfern erscheinen, die gewiefte Händler mit Antiquitäten beladen, welche sie auf Heubühnen, Estrichen, in Kellern aufgespürt und zu Spottpreisen erworben haben und nun in die Stadt verfrachten. Der noch sehr landwirtschaftlich geprägten Bevölkerung ist doppelt gedient, wird sie doch vom vermeintlichen Gerümpel befreit und erhält überdies ein paar Franken in den Sparstrumpf.
Diese Plünderung gilt es zu verhindern. Ein paar weitsichtige Köpfe gebieten Einhalt, denken museal. Dorflehrer Theo Ammann, Kunstmaler Carl Wegmann, Schmied Hans Meier und Maler Breuning haben Pläne. Kaminfeger Ernst Rapold trägt über Jahre unzählige Gegenstände, Bücher, Dokumente, Waffen zusammen, die nun vorerst unrestauriert im gemeindeeigenen Restaurant Rössli, im Walzenschopf, im Schützenhaus auf dem Lindenhof, im Hirschen, im ausgedienten Schulhaus Ellikon gestapelt werden.
1973 nimmt die Sache Gestalt an: Auf Betreiben des sammelnden Kaminfegers beginnt die Vorarbeit zu einer Ausstellung. Eine kleine verschworene Gruppe sichtet den riesigen Fundus, reinigt und repariert ausgewählte Gegenstände in einer leeren Garage im Ritterhof. Es werden regelmässig Besprechungen in Marthalen und Ellikon abgehalten, Lehrer Karl Griesser gewinnt seine Schüler an freien Nachmittagen zur Mithilfe, ab 1974 führt seine Gattin Barbara regelmässig Protokoll, Rosmarie Vollenweider die Kasse, welche der Gemeinderat grosszügig dotiert. Briefträger Ernst Toggenburger, Mechanikermeister Walter Hiltebrand, Fräulein Ursula Liechti aus der Oberen Mühle stossen dazu, Olaf Breuning übernimmt die Leitung.
Zwei Meilensteine prägen dieses Jahr: Im August kann das alte Tauner-(Tagelöhner-Kleinbauern-)Haus im Bockten von Traugott Wipf gemietet, später käuflich erworben werden. Der Gemeinderat plant den Umbau des prächtigen barocken «Hirschen» zur Gemeindekanzlei, die Liegenschaft geht von der Primarschulgemeinde unentgeltlich an die Politische Gemeinde. Dies ist die ersehnte Gelegenheit, die Planung eines Museums im Oekonomieteil, dem gestaffelten Bauwerk aus dem 18. Jh. mit dem kunstreichen Dachstuhl und der Inschrift 17.VVGW.93 über dem Eingang, also 1793, Untervogt Georg Wipf, an die Hand zu nehmen. Der Gemeinderat genehmigt im September den Projektierungskredit und engagiert den Andelfinger Architekten Albert Blatter für die Projektierung von Haupt- und Nebengebäude. Unter Einbezug eines Beraters des Landesmuseums, der nun offiziell gewählten Ortsmuseumskommission und des örtlichen Natur- und Heimatschutzvereins entsteht die Gestaltung des Museums, wie es bis heute besteht.
Dass alles so glatt über die Bühne geht, bedingt viel Arbeit der Kommission: Reinigung, Reinigung und nochmals Reinigung von Maschinen, Gerätschaften, Werkzeugen, Reparaturen durch geschickte Hände, Erstellung eines Inventars. Dann die Instandstellung der alten Wohnung im Bockten und die Vorbereitung der Ausstellung «Vier mal vierzig interessante und wertvolle Gegenstände aus vier Jahrhunderten Marthaler Geschichte» im Singsaal, welche im Februar 1975 gezeigt werden kann und die Bevölkerung für den grossen Umbaukredit erwärmen wird. Im gleichen Jahr kann der Marthaler Historiker Reinhard Nägeli für die Mitarbeit gewonnen werden. Er liefert uns über alle Jahrzehnte den wissenschaftlichen und lokalhistorischen Hintergrund.
Es gelingt. Die Einbauten in der Oekonomie laufen 1977 an. Die riesige alte Baumtrotte, eine der ursprünglich 27 Marthaler Trotten, wird aus ihrem Dornröschenschlaf im alten Schützenhaus erlöst und im Kehrfirst ebenerdig platziert. Der wunderbare, sehr wertvolle, beim Loskauf vom Stift Rheinau an die stolzen Ahnen übergebene Zehntenplan von 1746 kann endlich gezeigt werden. Die alte Dorfschmiede wird ins ehemalige Schlachtlokal eingebaut, die noch funktionstüchtige kleine Elliker Feuerspritze und die zugehörigen ledernen Wasserkübel finden einen ehrenvollen Platz. Am 23. September 1978 werden beide Museen, das Orts- und das Wohnmusem, in einem Festakt unter Mitwirkung des Musikvereins «Helvetia» in Anwesenheit des in Marthalen aufgewachsenen Radweltmeisters Ferdy Kübler samt seinem Rennrad eingeweiht. Dazu gibt es ein Schauschmieden in der Museumsschmiede, Drehörgelimusik auf dem Hirschenplatz und Gratisverpflegung, Spatz aus der gemeindeeigenen Gulaschkanone.
Nun beginnen lange Jahre der Konsolidierung. Erhaltung des Sammelgutes, viele Neueingänge, regelmässige Öffnung der beiden Museen für sonntägliche Besucher, für Schulen, Führungen für Gruppen, die ins Riegelhausdorf kommen. Die Kommissionsmitglieder halten grosse Treue zu ihrem Werk, manchmal geht die Aufgabe in der Familie an die nächste oder gar übernächste Generation über, immer wieder stossen neue Begeisterte dazu. Die Arbeit wird von Anbeginn und bis heute ehrenamtlich ausgeführt. Ursula Liechti, nun Frau Lips-Liechti, übernimmt das Präsidium und leitet die Kommission umsichtig und mit viel Liebe zum Detail, insbesondere in der Abteilung «Textil» und «Spielzeug». Sie zeigt auch ab und zu ihre wertvolle Puppensammlung. Allmählich wandelt sich die statische Sammlung in eine bewegte, es werden Sonderausstellungen eingeplant.
Nach dem Hinschied von Ursula Lips-Liechti übernimmt das Gründungsmitglied Rosmarie Vollenweider das Präsidium. Mit vielen Ideen und riesigem Elan verleiht sie dem «Unternehmen» Museum neue Impulse. Aufwendige Projekte werden verwirklicht, das Museum erhält viel Publizität und einen grossen Zustrom an Besuchern. Die beiden Museen werden jetzt von der Gemeindebehörde gut betreut und grosszügig finanziert. Neue, sehr engagierte Frauen und Männer können für die faszinierende Arbeit gewonnen werden, die Zukunft der wichtigen kulturellen Aufgabe ist gesichert.